Wie übersetzt man eine Nationalhymne? Wo liegen die Grenzen meiner Sprache? Ist Rilke partytauglich?
Vielleicht gibt es zwei Arten des Lesens. Die eine ist die Suche nach Bestätigung des eigenen Weltbildes. Das hat seine Berechtigung. Es empowert. Die andere ist ein Suchen ohne bestimmtes Ziel, das einen mit echten Funden belohnt. Diese Art des Lesens befreit mich vom eigenen beschränkten Blick. Außerdem hat sie eine steile Lernkurve. Lesend begreife ich, wie es sich anfühlt, keinen deutschen Pass zu haben, der Mehrheitsgesellschaft nicht anzugehören oder auch nur: nicht ich selbst zu sein.
In den sechs Folgen meiner Kolumne stelle ich Euch mir Lieblingsgedichte aus aller Welt vor und frage danach, wie das Kunststück gelingen kann, Poesie so ins Deutsche zu übersetzen, dass sie die Leerstellen unserer eigenen Kultur füllen können wie Originale. Meine Weltreise geht kreuz und quer über den Globus – und weil Poesie manchmal auch Zeitmaschine ist, auch durch die Epochen.
Ihr findet meine Kolumne auf Deutschland #nofilter, dem Online-Magazin des Goethe-Instituts. Hier klicken.
Aber hi! Neuer Film des Poesiekollektivs Landschaft
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ins lichtblaue nämlich mit zärtlichen Schwalben
im Dunkel vernehm ich die Vogeltonalben
des Frühlings in diesem finsteren Jahr.
Friederike (sie war doch gerade noch da?)
grüßte den wirbelnden Rittersporn: hi!
aber ich bin voll Zorn und verliere den Faden
für mein mützchen v. fury, bin so im diamond.
über uns beiden süsz verbeult schwankt
der Vollmond v. gestern und mitten in seinen Pupillen
schwarz wie dein Haar, sitzen zwei Schwestern:
die Liebe und die geschliffene Anmut v. Sprache
und leuchten uns einen Weg durchs
Wäldchen im Herzen = dunkles Jahrzehnt
v. fury und Furcht. aber hi! trotzdem tanz ich
trotzdem schreibe ich munter: Schwertlilienmonat
2022, Kriegswoche 16, Weltseele kopfunter
nach Friederike Mayröcker
«Monsters like us» longlisted for Dublin Literary Award 2024
Translated from the original German by Karen Leeder
Published by Seagull Books, Calcutta New York London 2022.
About the book: Monsters Like Us is the story of old friends Ruth and Viktor in the last days of Communist East Germany. They are inseparable since kindergarten, but are forced to go their different ways to escape their difficult childhood: Ruth into music and the life of a professional musician; Viktor into violence and a neo-Nazi gang. Monsters Like Us is a story of families, a story of abuse, a story about the search for redemption and the ways it takes shape over generations. More than anything, it is about the stories we tell ourselves about who we are, and who we want to be.
Nominating Library Comment: Ruth is a concert pianist and often booked and on the road. Privatly she suffers from a difficult relationship with her violent boyfriend Voitto. In throwbacks we learn about her childhood in the opencast mining area of Saxony during the time of the GDR, overshadowed by sexual abuse and violence. Only Viktor, her long time friend, knows what has happened to Ruth. After the peaceful revolution in 1989 he becomes a Skinhead `til he manage to change his mindset. Viktor moves to Paris and gets payrolled by a wealthy family. When Ruth arrives in Paris to play a gig we’ve come full circle. Monster is the first novel by Ulrike Almut Sandig. The slightly dark story makes one think about what abuse and violence causes in a child. In a way this novel is also a tribute to music as an universal cure. (Nominating Library Leipziger Stadtbibliotheken)
„Wir essen die Bestie, das macht uns zum Surfen so frei“ Hinemoana Baker in FUNKHAUS (übersetzt von Ulrike Almut Sandig)
Ein Hit ist keiner
Das Polaroid treibt Zweige aus, Kolor und
Cousinen, Flüsse, Berge wirbeln herum und posieren
auf hohem High Heel
rotem Teppich. Wir fühlen alle das Schlagen des Regens
und der Gerechtigkeit ha ha ha, wir verlieben uns in Hip
Hop und entlieben uns von Pipelines.
Wir wissen, wir dürfen das Passwort, den Schnitzmeister
die Achtziger, die Skylines nicht vergessen.
In den Himmel geschnitzt, in Museen geboren sind wir.
Menschen gehen sich gern selbst besuchen, also
kommen sie wieder und wieder ins Museum
und spießen und handarbeiten in Echtzeit.
Ins Land gewandert, altes Geld.
Die Sommerferien sind lang und Erinnerungen
Jahrhunderte auch, ha ha ha.
Das Mana unserer Wāhine, die Wehi, die Wana.
Unsere Schärpen, sagen sie, sind zu hellblau
und ein Hit ist keiner, und zwei sind wie einer.
Wir sind Schichten und leuchten slay überall, alle.
Tapa, Tatau, Taaniko, Dämonen.
Bittet mich nicht für Nationen zu sprechen, wir streichen
den Hass von unseren Haarreifen mit Licht.
Wir zogen uns selbst raus, wirklich scheißweit heraus
und Passagiere nahmen wir auch mit
von der Küche der Wunder zum Wānangananga.
Schreibt dies mit, schreibt diesen Motherfucker auf:
den Absolventen, den Groove, den Rangatiratanga.
Brecht mit dieser Fantasie, weckt euch bitte alle auf.
Wir essen die Bestie, das macht uns zum Surfen so frei.
Man hacke die hui und schlucke das fleisch
und wurzel, hör zu, brutzel und muskel, geschichte und schul uns
und hai uns und knarre und fluch.
Aus dem neuseeländischen Englisch von Ulrike Almut Sandig.
Single Release des Poesiekollektivs Landschaft -Bavovna (Remix)
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Dieser neue Poesiekollektiv Landschaft Song ist ein zärtliches Kampflied für den Mut zur militärischen Gegenwehr in Zeiten des Krieges. Bavovna bedeutet übersetzt Baumwolle. In der Ukraine wird dieser Begriff als Metapher für den militärischen Widerstand gegen die russische Armee verwendet. Unser Bavovna ist ein Remix aus dem Album Ukrainian Songs of Love and Hate von Irena Karpa, Lyuba Yakimchuk, Grigory Semenchuk & Yuriy Gurzhy . Ab sofort gibt es ihn in allen Apps, Streamingplattformen & überall da, wo ihr digital Musik hört.
Lyrik Lyuba Yakimchuk & Irena Karpa
Deutsche Fassung Ulrike Almut Sandig & Claudia Dathe
Vocals Ulrike Almut Sandig & Irena Karpa
Komposition Yuriy Gurzhy
Remix Grigory Semenchuk
Recordings Studio Klangkosmonauten Berlin
Mastering Шпиталь Рекордс
Video Sascha Conrad
English subtitles Karen Leeder
Kuration Oksana Shchur
Eine Produktion des Poesiekollektivs Landschaft, 24. Februar 2023
Aber hi! Der neue Song des Poesiekollektivs Landschaft handelt von fury & furcht im Jahr 2022.
Ihr findet Aber Hi! auf Spotify & Apple Music & deezer & Youtube Music & überall, wo ihr digital Musik hört. Nach einem Gedicht von Friederike Mayröcker.
Electronics Grigory Semenchuk
Sackpfeife (Duda) Vsevolod Sadovyj
Coverdesign Sascha & Stefanie Conrad
Eine Produktion des Poesiekollektivs Landschaft
Besucht das Poesiekollektiv Landschaft auf Facebook & Instagram & Youtube & Bandcamp
«sag: leuchtende Schafe. leuchtende Schafe. / leuchtende Schafe, Friedrich. // und jetzt schlafe / ein.»
«Die Allerschaffende wieder: Ulrike Almut Sandig, Dichterin, Erzählerin, Vortrags-, Klang- und Videokünstlerin [Anm. d. Autorin: Videos von Sascha Conrad / Poesiekollektiv Landschaft], hat zwei Jahre nach ihrem ersten Roman Monster wie wir und sechs Jahre nach ihrem letzten Lyrikband eine neue Sammlung von Gedichten vorgelegt. Zwiesprachen, Anrufungen, Sprachbilder, die auch auf den Seiten gesetzt Grafiken ergeben, ganze Zyklen von Gesängen finden sich in Leuchtende Schafe. Und als wäre das noch nicht genug, erfährt der Band eine Ausweitung in einigen Videos im Netz, auf denen sich die Dichterin als Performerin zeigt, die ihre Texte illustriert, illuminiert, konterkariert. […] Es liegt ein Zauber in ihnen, ein Gegenzauber vielleicht. Sprachvertrauen. […] Ulrike Almut Sandigs Dichtkunst schenkt ihren Lesern Freiheit.» Fridtjof Küchemann, F.A.Z.
Diary // Mit dem Poesiekollektiv Landschaft in Oxford gewesen.
Poesiekollektiv Landschaft auf Instagram // bei Schöffling & Co. // auf Bandcamp // auf Facebook
Oktober 2022 // Oxford! Du warst Paralleluniversum. Das Wild in Deinen Parks, der Heißluftballon darüber, wir waren hier, das Poesiekollektiv Landschaft mit einem gut besuchten Konzert in der Old Fire Station, Oxford, und dann Deine vielen Türen, Talare und jahrhundertealte Teppiche, über die wir mit meiner liebsten Übersetzern Karen Leeder – neuer Inhaberin des Taylor-Schwartz-Chairs am Queens College – gingen, Karens Antrittsvorlesung über Durs Grünbein und die Zerstörung Dresdens, und dann wieder Türen, formal Dinner, zu dem Sascha Conrad sich eigens einen Anzug gekauft hatte, aber der hatte sich doch gelohnt, oder is poetry an obstacle? Ein obstacle immerhin der Übungsalarm im Queens College, in dem Grigory Semenchuk schlief, und wie er dem Sicherheitsbeamten sagte: I am Ukrainian, I have plenty of exercise already. Can I please go back to my bed? Oxford, wie Du so heil wirkst im Vergleich zur wunden Welt. Und ich so im Gespräch mit einem Pathologen, der Gottfried Benn nicht kannte, über Philip Larkin und die bescheidene Verhältnismäßigkeit des eigenen Wissens, und ich noch so mit den schüchternen Augen der Jugendlichen in unseren Poetryworkshops im Herzen, und wie sie sich, kaum offen, wie Blütenkelche am Abend wieder verschlossen hatten, weil eine Lehrerin den Raum betreten hatte. Oxford! Dass man Mut braucht fürs Lernen, fürs Wachsenwollen. Oxford! Ich bin dann mal weg, sitzen schon im Heißluftballon, okay nein, im Flieger. Kommen wieder.
We don’t even own our words for despair.
In diesem Frühjahr 2022 habe ich mit der walisisch-indischen Dichterin Tishani Doshi ein Gedicht geschrieben. Es thematisiert die Gräueltaten an Frauen und Kindern in Bucha und vielen anderen Orten in der Ukraine. Für seine filmische Umsetzung durch das Poesiekollektiv Landschaft (mit Maria Shubhyk) habe ich auf meinem Youtubekanal eine Altersbeschränkung eingestellt, weswegen es nur dort und unter vorheriger Anmeldung zu sehen ist. Siehe Link unter dem Gedicht.
If you could choose to disappear slowly or fast,
be a mountain softened by tides,
a landmine of time, until nothing of you
is left but a pebble in a pup’s mouth.
If we could convince each other
we were not alone, that there were footsteps
that followed at a distance,
that everything we touch exists
because we speak their name,
would we still own more than what’s in
our jaws? Mine is empty today. I am Eve,
the kid of a goddess with wave-permed hair,
who taught me to keep a low profile if
I want to be safe here. Be soft, dear.
Today, I am not Ewa in Bucha who was shot
in the mouth after being raped for hours
before the eyes of her youngest. I swallow
the bullet I didn’t receive and laugh as if
I had been in a film shoot of sorts.
We don’t even own our words for despair.
All we have are the traces we follow.
They disappear fast. In dust, in snow.